Liebe Leserin, lieber Leser!
Ich habe ihn auf einer Ausstellungseröffnung in einer Galerie kennengelernt. Irgendwie hatte er mitbekommen, dass ich Psychiater bin und bat um ein kurzes Gespräch. Da es aber relativ schnell klar wurde, dass es um ein psychiatrisches Problem gehen würde, habe ich ihn eingeladen, mich in der Praxis zu besuchen.
Dort erzählte er mir ausführlich, dass er aus Belgien komme, aber schon seit Jahren in Berlin lebe und versuche als freischaffender Künstler zu leben. Nach meinem ersten Eindruck konnte er nicht sehr erfolgreich sein, denn er wirkte etwas ausgemergelt und ein wenig ungepflegt.
Er sei vor Jahren erfolgreich gewesen, hatte auch in Paris und Barcelona gearbeitet, an mehreren Ausstellungen mitgearbeitet, bis dann diese schreckliche Auseinandersetzung statt fand. Es war bestimmt schon 15 Jahren her. Er hatte in einer Galerie eine Einzelausstellung, dann aber einen heftigen Streit mit dem Galeristen, wobei dieser ihn angegriffen und auch verletzt hatte. Er musste sich ärztlich behandeln lassen und habe auch Anzeige bei der Polizei erstattet. Aber irgendwie habe niemand ihm geglaubt und seine Anzeige wurde nicht weiter verfolgt. Seitdem, so teilt er weiter mit, hatte er als Künstler keinen Erfolg mehr. Er wurde nicht mehr für Ausstellungen angefragt und seine Arbeiten schienen unverkäuflich. Er hatte das Gefühl von anderen Künstlern und Galeristen gemieden zu werden und er war der festen Überzeugung, dass dies alles das Werk von jenem Galeristen war, der ihn so schlecht behandelt hatte. Auch jetzt, nach so vielen Jahren würde dieser Mann noch immer gegen ihn agieren und ihn schlecht machen. Während seiner Erzählung war er emotional sehr bewegt, zum Teil wütend, zum Teil hilflos und traurig. Meine Gegenäußerung, dass dieses Ereignis doch schon so viele Jahren zurück liege, fand er unsinnig und nicht nachvollziehbar.
Das was dieser Mann macht, also das Verhalten, das er zeigt, ist nicht ungewöhnlich. Man nimmt eine emotional sehr belastende und für den Betroffenen negativ verlaufende Situation als Ausgangspunkt dafür, andere spätere Misserfolge und Enttäuschungen damit zu erklären und zunehmend wahnhaft zu verarbeiten. Dabei wird die eigene Verantwortung externalisiert, was bedeutet, dass man die Erklärung für diese Ereignisse nur noch außerhalb von sich selber sucht. Eine derartige wahnhafte Störung ist meist nicht behandelbar, da bei den Betroffenen zwar ein hoher Leidensdruck aber keinerlei Krankheitseinsicht besteht. Mein vorsichtiges Bemühen ihm noch einige Gesprächstermine anzubieten, um ein Vertrauensverhältnis herzustellen, auch in der Hoffnung später mit ihm über Medikation reden zu können, wies er von der Hand – besser sollte ich den Galeristen einladen, damit dieser endlich mit seinen Machenschaften aufhöre!
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Bis zum nächsten Beitrag meinerseits.
Herzlichst
Dolf Hage