Liebe Leserin, lieber Leser!
Nicht jeder schafft es in die Praxis zu kommen, manchmal sind die Beschwerden so stark oder überwältigend, zum Beispiel bei Ängsten, dass der Betroffene seine Wohnung nicht verlassen kann. So rief eine verzweifelte Tochter an und fragte nach, ob ich nicht einen Hausbesuch machen könnte, da ihre Mutter das Haus nicht verlassen wollte.
Zu Vorgeschichte berichtete die Tochter, dass ihre Mutter 2 Monate vorher noch im Krankenhaus zur Entgiftung bei bekannter Tranquilizer-Abhängigkeit war. Ihre Mutter hatte zuletzt 4-5 Tabletten Lexotanil/ Bromazepam 6 mg pro Tag eingenommen.
Die körperliche Entgiftung im Krankenhaus war nach 2 Wochen erfolgreich abgeschlossen und die Mutter wurde nach Hause entlassen.
Zu Hause eskalierte die Situation jedoch. Ihre Mutter hatte extreme Schlafstörungen, war unruhig und getrieben, voller Ängsten und körperliche Beschwerden. Sie lag nur noch im Bett – sie wollte nie wieder ins Krankenhaus.
Bei meinem Hausbesuch bestätigte sich dieses Bild. Trotz Medikationsveränderung und Neuverordnung war die Situation zu Hause nach einigen Tagen nicht mehr zu ertragen; für die Patientin nicht und durch das fordernde Verhalten der Patientin – man sollte ihr doch endlich helfen – waren auch die Angehörigen am Ende ihrer Kräfte.
Eine erneute Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus war unumgänglich, dauerte mehrere Wochen und die Patientin wurde mit eine gemischte Medikation bestehend aus Neuroleptika und Antidepressiva entlassen.
Die folgende Wochen waren schwierig, aber nach ein erneutem Hausbesuch und mehreren Telefonaten mit der Patientin und den Angehörigen konnte die Patientin ihre Unsicherheit und ängste so weit ablegen, dass es ihr möglich wurde in die Praxis zu kommen, wo sie jetzt alle 2 Wochen einen Gesprächstermin hat.
Immer wieder kommt Sie, um über ihre ängste und Befürchtungen zu sprechen. Mittlerweile kann sie aber auch vermehrt andere Themen ansprechen wie den plötzliche Tod des Ehemannes, wo sie bei dessen Reanimation zu schauen musste oder ihre Einsamkeit, jetzt wo sie allein lebt, aber auch die Sorgen um ihren kranken Enkelsohn.
Nur an ihre Medikation traut sie sich noch nicht heran. Sie hat keine Nebenwirkungen und die Befürchtung, dass sie mit weniger Medikamenten wieder unter ihren alten ängsten leidet oder wieder rückfällig wird mit ihrem Suchtmittel Bromazepam. Auch wenn ich meine, sie käme mit weniger Medikamenten aus, denke ich dass sie das Tempo der Reduzierung selbst mitbestimmt soll!
Wenn Sie noch Fragen oder Anmerkungen haben melden Sie sich, ansonsten:
Bis zum nächsten Beitrag meinerseits.
Herzlichst
Dolf Hage.